Irgendwann einmal kam die Tochter einer weiteren Bewohnerin kam sehr aufgeregt auf mich zu. Sie fragte mich sichtlich empört: «Meine Mutter schläft auf einer Bank im Park. Weshalb lassen Sie so etwas zu?» Ihre Mutter war eine sehr adrette Dame, die viel Wert auf ihre Kleidung (unter anderem von Chanel) legte und dreimal pro Woche zum Coiffeur ging. Sie wusste, wie man sich in der vornehmen Gesellschaftsschicht zu bewegen hatte.
Aber seit einigen Tagen wollte sie ihre Mittagsruhe auf einer Bank im Park verbringen, und dies weder mit Kissen noch mit Decke. Da ich die Bedürfnisse anderer Menschen respektiere, gab ich ihrer Tochter zur Antwort, dass sie doch ihre Mutter bitten solle, sich auch auf die Parkbank setzen zu dürfen. Nach zwei Stunden kam die Tochter freudig auf mich zu und meinte: «Heute hatte ich das schönste Erlebnis mit meiner Mutter! Nachdem ich sie gefragt hatte, ob ich mich zu ihr setzen dürfe, willigte sie sofort ein. Sie setzte sich für einen kurzen Moment auf, bis ich mich hingesetzt hatte, dann legte sie sich sogleich wieder hin, ihr Kopf auf meinen Knien. Wir erzählten einander Geschichten von früher und lachten viel. Noch nie konnte ich eine solche Nähe zu meiner Mutter spüren und erleben.»
Sylvia Wyss