Es ereignete sich an Ostern auf unserer Demenzstation. Frau X beklagte sich über ihre behaarten Waden, zupfte an den Haaren und sagte: «Comme un homme» (übersetzt: wie ein Mann). Vor ihrer Erkrankung ist sie eine sehr gepflegte Dame mit stets auserlesener, teurer und grosser Garderobe gewesen. Sie spricht Französisch und das viel, zudem ist sie heute arg verwirrt, zeitlich desorientiert und oft in ihre Jugend zurückversetzt. Ich bin in der Interkation mit ihr jeweils dankbar für meinen Welschland-Aufenthalt – auch wenn dieser schon lange zurückliegt.

Am genannten Tag nahm ich mir die Zeit, um sie mit einem Vollbad, Wadenrasur und Lockenwicklerfrisur zu verwöhnen. Sie genoss es, erzählte mir laufend vieles, das krankheitsbedingt keinen oder selten einen Sinn ergab. Fertig angezogen mit ihrem seidenen Designerkleid und frisiert, so gut ich konnte, betrachtete sie sich schweigend im körpergrossen Spiegel. Dann drehte sie sich zu mir und sagte: «Mercie pour me redonner cette femme», was ich mit «Danke, dass sie mir diese Frau zurückgegeben haben» übersetzen würde. Sie hat sich dabei kein bisschen verwirrt angehört und ich bekam eine Hühnerhaut. Diese Situation ist mir deutlich in Erinnerung geblieben.

Silvia Eroyan